Verlernen lernen

Warum müssen wir das „Verlernen lernen“?

Gestern wurde ich durch einen meiner Trainingsteilnehmer wieder an ein Zitat aus der Filmreihe Star Wars erinnert. Yoda, der Großmeister des Jedi-Ordens, möchte Luke Skywalker dazu bringen ein Raumschiff mit der Kraft seiner Gedanken emporzuheben.

Dieser jedoch glaubt nicht daran, dass er es schaffen kann. „Steine zu bewegen ist das eine, aber das hier ist etwas völlig anders.“

Yoda antwortet bestimmt: „No. Not different! You must unlearn what you have learned.”

Genau vor dieser Herausforderung stehen heute auch viele Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Wir werden unsere Probleme nicht mit der gleichen Denkweise lösen, mit der wir sie erschaffen haben.

Um neue Denk- und Verhaltensmuster zu verankern, genügt es aber nicht einfach immer neues Wissen aufzunehmen. Das ist mir vor einigen Woche in einem Training wieder einmal bewusst geworden. Über drei Monate hinweg habe ich mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen gemeinsam verschiedene agile Methoden erarbeitet. Von Design Thinking, dem Projekt Canvas über Kanban-Boards bis hin zur Methode „Objectives und Key Results“.

Immer wieder haben sie sich vorgenommen die einzelnen Tools und Methoden an einer passenden Stelle auszuprobieren, aber dann kam der Alltag dazwischen. Sobald es etwas stressiger wurde, verfielen sie in den „Fire Fighting Modus“. Sie verließen sich auf ihre bewährten Vorgehensweisen und vergaßen alles, was wir erarbeitet hatten.

Um es mit dem Psychologen Daniel Kahnemann zu sagen: „Sie verfielen in ihr System 1“. Er unterscheidet zwei kognitive Systeme beim Menschen. System 1 ist unser Autopilot: das impulsive, emotionale, spontane Selbst. Es arbeitet schnell und intuitiv. System 2 ist das abwägende, planerische, kontrollierende Ich. Es erfordert Konzentration und braucht Zeit.

Wenn es stressig wird, verlassen wir uns auf unser System 1 und verfallen damit gerne in alte Muster. Ich hätte ihnen also noch unzählige weitere Ideen mit auf den Weg geben können, sie hätten sie nicht angewendet.

Weniger ist mehr

Dennoch versuchen viele Unternehmen ihre Mitarbeiter mit immer neuen Methoden und Werkzeugen zu versorgen.

Gerade wenn es um die wichtigsten Skills der Zukunft geht, überlegen viele Personalverantwortliche welche Skills und Methoden in den nächsten Jahren wichtiger werden und wie sie diese ihren Mitarbeitern beibringen können. Das Ergebnis sind dann häufig kurze Schulungen oder ein Zugang zu E-Learning Plattformen wie Masterplan oder LinkedIn Learning.

Nur am Rande: Diese Plattformen sind für mich eine moderne Form des Ablasshandels. Unternehmen kaufen sich von der Verantwortung frei, sich intensiv Gedanken über die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter zu machen. Jeder erhält einen kostenlosen Zugang und kann theoretisch alle Kurse besuchen, die er möchte. Mit dem Resultat, dass er am Ende gar keinen Kurs besucht, weil er völlig überfordert ist und außerdem „keine Zeit“ dafür hat.

Anstatt die Mitarbeiter mit immer neuen Angeboten zu versorgen, sollten sich Personalverantwortliche also viel mehr nach dem Zitat von John Maynard Keynes richten:

“Die Schwierigkeit ist nicht neue Ideen zu finden, sondern den alten zu entkommen.”

Wir sollten uns die Frage stellen: „Wie können wir alte Glaubenssätze und Denkmuster aufbrechen und durch Neue überschreiben?“

Beginnen wir mit den Führungskräften, weil wir hier zunächst den größten Hebel haben. In den letzten Jahrzehnten brauchten wir eher Lokführer als Führungskräfte. Das Unternehmen hat die Gleise verlegt, also die Richtung vorgegeben und die Manager haben ihre Teams möglichst schnell über diese Gleise geführt. Dabei haben sie ihre Lok selten verlassen.

In einer immer komplexeren VUCA-Welt brauchen wir allerdings eher Expeditionsleiter. Jedes Projekt ist eine Expedition in unbekannte Welten und wir brauchen Führungskräfte, die mit Hilfe von Kreativität, Spontaneität und Intuition die Teams sicher auf den Weg zum Erfolg führen. Dabei verlassen sie immer wieder ihr gewohntes Umfeld, um den besten Weg zu auszukundschaften.

Genau das ist der Unterschied zwischen den beiden: Expeditionsleiter verlassen regelmäßig ihr gewohntes Umfeld.

Wie kann ein verändertes Umfeld beim „Verlernen lernen“ helfen?

Während Corona haben wir gemerkt, wie anpassungsfähig wir sind, wenn sich die äußeren Umstände ändern. Wir haben aber auch gemerkt, dass sich leider häufig erst die Umstände ändern müssen, damit wir uns selbst und unsere Arbeitsweisen verändern.

Wir sprechen ständig davon, dass sich die Welt exponentiell wandelt und sich unsere Umgebung verändert. Warum drehen wir den Spieß nicht einfach um und verändern proaktiv unsere Umgebung?

Unser Umfeld kann wie ein „Nudge“ – ein kleiner Schubser – in die richtige Richtung wirken. Dieses Konzept der Verhaltensökonomie ist vor allem durch Richard H. Thaler bekannt geworden, der dafür 2017 den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat. Die berühmtesten Beispiele sind sicherlich die schwarze Fliege im Männer-Pissoir, die dafür sorgt, dass nichts daneben geht und die Quengelware im Supermarkt, die uns Dinge kaufen lässt, die wir eigentlich gar nicht benötigen.

Verlernen lernen mit Hilfe von Nudges

Eine spannende Studie stammt aber auch von der Universität Bayreuth, die herausgefunden haben, dass Fußabdrücke auf dem Boden – kombiniert mit Schildern, die auf einen 1,5-Meter Abstand hinweisen – effektiver sind als Streifen auf dem Boden. Bei den Streifen bleiben nämlich manche Personen auf dem Streifen stehen und andere dazwischen.

Eine Veränderung unseres Umfeldes kann also eine nachhaltige Veränderung unseres Verhaltens bewirken, ohne, dass wir dafür unsere Willenskraft oder Disziplin aufbringen müssten. Wie können wir diesen Fakt dazu nutzen neue Denk- und Verhaltensmuster zu etablieren?

Wie kannst du dein Umfeld verändern?

Ich möchte dir drei Beispiele geben, wie man durch die Veränderung des Umfeldes die Arbeitsweise verändern kann.

Problemraum und Lösungsraum!

Im Design Thinking spricht man von zwei Räumen. Dem Problemraum und dem Lösungsraum. Es sind zwei Phasen, die streng voneinander getrennt werden. Dabei geht es darum, dass wir nicht sofort in die Lösung eines Problems springen, sondern zunächst versuchen es vollständig zu durchdringen.

Räume können beim Verlernen lernen helfen

Im Arbeitsalltag ist es meistens leider umgekehrt. Wir entdecken irgendwo ein Problem und versuchen sofort eine Lösung zu finden. Um sich besser zu disziplinieren, mehr Zeit mit dem tiefen Verständnis des Problems zu verbringen, hatte eine meiner Kundinnen eine geniale Idee. Die beiden „Räume“ sind im Design Thinking eher methodisch gedacht, sie hat es aber wörtlich genommen. Sie kam aus einem österreichischen Unternehmen in der Nähe von Innsbruck und meinte, sie haben bei sich im Unternehmen einen kleinen und dunklen Meetingraum, den sie ab sofort „Problemraum“ nennen. Dort unterhalten sie sich dann nur über das Problem und springen nicht ständig in die Lösungsfindung.

Auf der anderen Seite haben sie einen großen hellen Meetingraum mit Blick auf die Berge. Diesen nennen sie ab sofort „Lösungsraum“ und sprechen darin nur über Lösungen.

Diese physische Unterscheidung hat ihnen dabei geholfen wirklich beim Thema zu bleiben und nicht ständig zwischen den beiden Räumen hin- und her zu springen.

Verschiedene Orte für verschiedene Tätigkeiten

Ein befreundeter Unternehmer hat mir erzählt, dass er verschiedene Orte für verschiedene Tätigkeiten aufsucht. So erledigt er strategische Aufgaben gerne an seinem großen Küchentisch. Dort hat er die inspirierende Umgebung, die er benötigt, um sich langfristige Gedanken zu machen.

Für seine Telefonate sucht er sich eine gut isolierte Telefonkabine im Büro, die er dann mehrere Stunden am Stück nicht verlässt.

Für das Abarbeiten von To-Dos oder E-Mails geht er in einen Co-Working Space, weil ihn die Atmosphäre dort zum Arbeiten motiviert und der Austausch mit anderen ihm als Belohnung für langweilige Aufgaben dient.

An seinem eigentlichen Schreibtisch ist er schließlich, wenn er sich mit seinem Team vernetzen und austauschen möchte.

Diese Ortswechsel haben nicht nur den Vorteil, dass er durch die Umgebung produktiver ist, sondern er bündelt auch gleichzeitig seine Aufgaben. Da er nicht jeden halben Tag zwischen den Locations wechseln möchte, versucht er seine Arbeit so weit wie möglich zu bündeln und dann am passenden Ort zu erledigen.

Get out of the building!

Ein wichtiger Aspekt in der heutigen Zeit ist das kundenzentrierte Denken. Wir wollen näher an unseren Kunden sein und ihre Bedürfnisse und Verhaltensweise noch besser verstehen. Dabei genügt es aber nicht sie in Fokusgruppen befragen zu lassen und teure Marktforschungsstudien in Auftrag zu geben. Wenn ich wirklich verstehen möchte, was meine Kunden wollen, muss ich das Gebäude verlassen.

„Get out of the building” ist ein Grundprinzip für angehende Start-ups. Wir müssen unser gewohntes Umfeld verlassen und uns dort hinbegeben, wo die Kundinnen zu Hause sind. Dann erst verstehen wir ihre wahren Bedürfnisse.

Tatsächlich ist das auch immer der Moment, der den Teilnehmer/innen meiner Design Thinking Trainings am stärksten in Erinnerung bleibt. Ich schicke sie am ersten Tag immer raus aus dem Gebäude und auf die Straße, um Interviews zu führen. Sie verlassen dabei nicht nur ihre gewohnte Umgebung, sondern auch ihre Komfortzone.

Wenn man fremde Menschen auf der Straße anspricht, lernt man eine Sache ziemlich schnell: Wenn man auch nur ein klein wenig zögert, ist es schon zu spät. Die andere Person spürt es und lehnt dankend ab.

Damit komme ich zurück zum Anfang des Artikels. Auch Luke Skywalker probiert es, das Raumschiff mit der Kraft seiner Gedanken aus dem Wasser zu heben. Es bewegt sich auch ein wenig, aber dann gibt er wieder auf.

Er hätte mal besser auf den Rat von Yoda gehört:

Tu es oder tue es nicht, aber höre auf es zu versuchen!

Wer das Thema „Verlernen lernen“ wirklich ernst nimmt, sollte auch darüber nachdenken eine neue Position im Unternehmen einzuführen! Den CUO – Chief Unlearning Officer!

Er ist einzig und allein dafür verantwortlich, dass die Organisation und jede einzelne Mitarbeiterin regelmäßig wieder vergessen, was sie bisher gelernt haben. So wird sichergestellt, dass man offen für neue Denk- und Verhaltensweisen bleibt und das Unternehmen nicht an seinem eigenen Erfolg scheitert. Die größte Gefahr für die Zukunft ist der Erfolg von heute.

Was kannst du konkret ab morgen tun?

Welche Frage hilft beim Verlernen lernen?

Wir stellen uns häufig die Frage: „Was kann ich Neues lernen?“. Wie wäre es, wenn du dir in den nächsten vier Wochen immer wieder die Frage stellst: „Was kann ich verlernen?“. An welcher Stelle solltest du etwas Neues ausprobieren und deine Gewohnheiten ändern? Was kannst du dafür tun und wie kann eine Veränderung deiner Umgebung dabei helfen?

Anderen Weg zur Arbeit nehmen

Ein kleiner erster Schritt könnte ein neuer Arbeitsweg sein. Wähle ein neues Fortbewegungsmittel oder einfach eine andere Route. Auch wenn sie vielleicht fünf Minuten länger dauert, sammelst du neue Eindrücke und kommst vielleicht auf neue Ideen. Im besten Fall lernst du eine neue Umgebung kennen und erweiterst deine Ortskenntnisse.

Anderen Arbeitsplatz suchen

Bei der Veränderung deiner Umgebung geht es nicht nur um die physische Umgebung, sondern auch um die Menschen, die dich umgeben. Wenn du jeden Tag mit den gleichen Kollegen sprichst, ergeben sich zwangsläufig mit der Zeit immer weniger neue Impulse und Stimulationen. Genau aus diesem Grund kann ich dir nur empfehlen den Arbeitsort regelmäßig zu wechseln.

Wie wäre es, wenn du dich für zwei Tage pro Woche in einem Co-Working Space einmietest? Ich habe selbst länger aus dem Impact Hub in München heraus gearbeitet. Dadurch hat sich nicht nur meine Arbeitsweise verändert, sondern ich hatte wunderbare Begegnungen mit spannenden Persönlichkeiten, denen ich sonst vermutlich niemals über den Weg gelaufen wäre.

Meetings verändern

Auch Meetings schaffen für einen Zeitraum einen gemeinsamen Raum und damit eine Umgebung. Egal ob virtuell oder physisch. Außerdem nehmen sie häufig viel Zeit in unserem Alltag ein. Warum also nicht die Meetings verändern?

Wie wäre es mit Meetings im Stehen? Oder pauschal nur noch 20-Minuten Meetings? Mein Favorit sind aber Meetings im Gehen. Mit mehr als drei Personen wird es schwierig, aber gerade für ernstere Gespräche hat es drei große Vorteile:

  1. Man geht gemeinsam in die gleiche Richtung. Man sitzt sich nicht frontal gegenüber, sondern schreitet im Gleichschritt nebeneinanderher.
  2. Man baut etwaige Spannungen direkt über die Beine wieder ab und ist somit körperlich und mental ausgeglichener.
  3. Wenn man immer wieder anderen Spaziergängern begegnet, hat man eine gewisse soziale Kontrolle. So wird vermieden, dass einer der Teilnehmer laut oder ausfallend wird.

Was sind Workations und welche Rolle spielen sie beim „Verlernen lernen“?

Vielleicht denkst du dir jetzt: „Okay, ich habe es verstanden. Wenn ich mein Team zu neuen Verhaltensweisen bewegen möchte, sollte ich mal wieder ein Offsite-Workshop planen. Da kommen wir dann in einem schönen Hotel am See zusammen und beschäftigen uns zwei Tage mit großen strategischen Fragen.“

Nein! Das ist zwar eine gute Idee, aber wie eben schon beschrieben gehören zur veränderten Umgebung auch neue Personen. Deshalb bin ich ein großer Freund von Workations, wenn es um das Lernen in neuer Umgebung mit neuen Menschen geht.

Der Begriff „Workation“ ist eine Mischung aus Work und Vacation und kann vielfältig interpretiert werden. Du kannst deinen Laptop mit in den Urlaub nehmen und von einer Workation sprechen. Ich verstehe darunter aber etwas anderes.

Der Blick aus meinem Fenster bei der Workation
Der Blick aus meinem Fenster bei der Workation im Piemont

Schon zwei Mal durfte ich bei einer Workation teilnehmen und war beide Male begeistert. Organisiert durch einen befreundeten Unternehmer haben wir uns mit knapp 30 Personen an einem abgelegenen Ort in Frankreich, bzw. Italien getroffen.

Für eine Woche sahen unsere Tage so aus, dass wir uns morgens gemeinsam zum Sport machen und zum Frühstück getroffen haben. Dann hat jeder tagsüber für sich selbst gearbeitet. Ab 16 Uhr begannen dann die Workshops. Das heißt jeder konnte zu einem Thema, in dem er oder sie sich besonders gut auskennt, einen Workshop für die anderen Teilnehmer anbieten. Das waren mal Diskussionsrunden über Organisationsentwicklung, mal eine Einführung in Kryptowährungen. Ein anderes Mal haben wir Yoga gemacht oder auch Speed Reading gelernt. So vielfältig wie die Teilnehmer/innen waren auch die Themengebiete.

Das Wertvollste daran war genau diese Vielfalt der Teilnehmer/innen. Das ist für mich auch der größte Unterschied zu einem Offsite, wo wir uns mit den gleichen Personen wie sonst auch umgeben. Wie wäre es, wenn große Konzerne ihre Mitarbeiter auf verschiedene Workations schicken würden und dann beim Abendessen ein Mitarbeiter von Siemens neben einer Mitarbeiterin von Tesla und einer von Facebook sitzt? Wie viele spannende Diskussionen könnten sich daraus entwickeln und welche Ideen generiert werden?

Genau das geschieht auf einer Workation. Wir verändern unser Umfeld und dadurch unsere Denk- und Verhaltensmuster.

Weitere Infos zu der Workation, die ein Freund von mir organisiert, findest du hier: https://www.theworkationvillage.com/


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